Michail Bakunin

Es gibt endlich eine ziemlich zahlreiche Klasse ehrlicher, aber schwacher Seelen, die zu intelligent sind, um die christlichen Dogmen ernst zu nehmen und sie im einzelnen verwerfen, aber nicht die nötige Kraft und Entschlossenheit haben, sie als Ganzes zu verwerfen. Sie geben alle speziellen Unsinnigkeiten der Religion der Kritik preis, sie weisen alle Wunder zurück, aber sie klammern sich verzweifelt an den Hauptunsinn, der die Quelle aller anderen ist, an das Wunder, das alle anderen Wunder erklärt und rechtfertigt, an das Dasein Gottes. Ihr Gott ist nicht das starke und mächtige Wesen, der brutal positive Gott der Theologie. Er ist ein nebelhaftes, durchsichtiges, trügerisches Wesen, so trügerisch, dass, wenn man ihn zu packen glaubt, er sich in das Nichts verwandelt; er ist eine Spiegelung, ein Irrlicht, das weder wärmt noch erhellt. Und doch halten sie an ihm fest und glauben, dass mit seinem Verschwinden alles mit ihm verschwinden würde. Das sind unentschlossene, krankhafte Seelen, die sich in der heutigen Kultur nicht zurechtfinden, die weder der Gegenwart noch der Zukunft angehören, blasse Phantome, die ewig zwischen Himmel und Erde hängen und die sich in derselben Stellung zwischen der Bourgeois-Politik und dem Sozialismus des Proletariats befinden. Sie fühlen sich nicht stark genug, einen Gedanken bis zu Ende zu denken, zu wollen und sich zu entschließen, und sie verlieren ihre Zeit und Mühe damit, immer das Unversöhnliche versöhnen zu wollen.

Michail Bakunin, Gott und der Staat 1882